Wie das Knacken des Krustentiers
Die chinesische Pianistin Jin Ju überzeugt zu Beginn ihres Programms
VON JAN STING, Quelle: Leverkusener Anzeiger
Carl Czernys betitelte seine Klavieretüden auch einmal mit "Aufmunterung zum Fleiß". Und der Schüler Beethovens brachte es in seinen Kompositionen zu beachtlicher Brillanz. Makellos und ohne Manieriertheit spielte die chinesische Pianistin Jin Ju im Erholungshaus am Klavierabend der Bayer Kultur Czernys La Ricordanza. Das sind Variationen auf ein Thema des französischen Violinisten Jaques Pierre Rode, der wiederum den Geigenschülern als Trainingseinheit geläufig sein dürfte.
Fröhlich und rasant
Jin Ju brillierte bei diesem Auftakt. Fröhlich und atemberaubend rasant ging es zu. Doch dann erschöpfte sich das Spiel zuerst bei Beethovens Sonate 23 in f-Moll, der Appassionata, und erst recht in Schuberts Sonate c-Moll D 958. Furor, Sturm der Seele und Aufschrei der Angst, wie Beethovens Stimmungslage später vom Beethoven-Kenner Adolf Bernhard Marx umschrieben wurde, waren in ihrem Vortrag unzweifelhaft zu erkennen. Aber wo blieb das Leise, Zaghafte, der Mut zu Langsamkeit?
Diese Fragen beschlichen den Zuhörer bereits vor der Pause, in der das Publikum sich anerkennend über die Kraft und Energie des "zierlichen Persönchens" austauschte. Und das wiederum setzte Franz Schubert im zweiten Teil ziemlich zu. Das Liedhafte musste der Zuhörer bei aller Rasanz und dem starken Impetus des Spiels vermissen.
Da war kein Abschweifen der Gedanken in Schubertsche Landschaften des Wienerwalds mit seinen Heurigenwirtschaften, den Weinen, Lindenbäumen und den Mehlspeisen mehr möglich. Wie das Knacken eines Krustentiers klang das Klavierspiel, zerquetscht unter einem beharrlich getretenen Pedal. Zumal bei Schubert kann eine Sekundenpause wie ein unendlicher Moment klingen - hier nicht. Auch Jean Philippe Rameaus Gavotte als Zugabe war kein Innehalten, aber virtuos, was das Publikum mit rasendem Applaus belohnte.