Arbeitsproben

 

Rock­pa­last lockte mit "Tau­send­sassa" und "Ur­schlamm" Men­schen­men­gen an

Göt­ter­däm­me­rung der be­son­de­ren Art

Der Rockpalast präsentierte Größen wie "Van der Graaf Generator" und Dave Hole. Und den Auftakt machte Jungstar Paddy Milner.

VON JAN STING, Quelle: Leverkusener Anzeiger, 7.11.2005

Rocker lieben das Getöse. Das wird zumal zu einem physischen Erlebnis, wenn man dicht am gigantischen Turm aus Riesenboxen steht, der sich neben der Bühne des Terrassensaals dieser Tage aufbaut und brummt, als jage eine Elefantenhorde eine Flotte Schwertransporter. Der Platz war erstaunlich frei, als am Samstag eine Götterdämmerung der besonderen Art anbrach. Aber ansonsten war im Menschenauflauf kaum ein Durchkommen. Die britische Gruppe "Van der Graaf Generator", mit Peter Hammill (Gesang, Gitarre, Keyboard), Guy Evans (Drums), Hugh Banton (Bass) und David Jackson (Saxophon) machte nach 27 Jahren der Trennung wieder gemeinsam Musik. Ein lebendiges Kapitel der Rockgeschichte, das gleichsam etwas von einer Zeitmaschine hatte.

Verklärt und verzückt

Schaute man durch die Reihen, war es schon ergreifend, wie Verklärung und Verzückung den Fans in den Gesichtern geschrieben standen. Stampfend, die Köpfe werfend, wirkten sie so, als hätten sie gerade ihre neueste Errungenschaft, eine Schallplatte der Gruppe, aufgelegt und sich die Fussel der selbst gedrehten Zigarette von der Zunge gepuhlt, so wie sie es vor Jahrzehnten getan haben mochten. Auch die jungen Fans waren hingerissen. Solche Momente der Intensität und des Wiedererkennens sind selten. Eine noch sehr junge Gruppe, die Band des Pianisten und Sängers Paddy Milner hatte an dem Abend - erfolgreich - gezeigt, wie zäh man mitunter arbeiten muss, um die Aufmerksamkeit eines Publikums über die ganze Strecke hin zu gewinnen.

Als Festivalmanager Eckhard Meszelinsky bei der Vorstellung des Jazztage-Programms vom "Urschlamm" sprach, da meinte er auch die legendäre Gruppe "Van der Graaf Generator". Ihr Auftritt hat etwas Sakrales, allein durch die Lichtarchitektur. Magisch wird es vor allem aber durch die archaisch anmutende Erzählweise von Peter Hammill, dem seine Fans als erstes zum 57. Geburtstag gratulierten. Das Warten war schon voller Spannung. Witze über David Jackson machten die Runde, der sich angeblich auf die Kunst versteht, zwei Saxophone gleichzeitig zu spielen. "Stimmt", will man sagen, wenn man ihn spielen hört.

Aber nun zu den anderen: Paddy Milner und seine wilden Kerle sorgten gleich zu Anfang des Rockpalasts für Tempo. Ein Tausendsassa mit der großen Begabung für leise Töne. Volles Rohr gaben die Leverkusener Jungs von Tripstone im Agamsaal, und stießen bei vielen Zuhörern auf Begeisterung. Dagegen wirkte der Auftritt des Leverkusener Liedermachers Jim Newa dort auf manchen im Publikum befremdlich. "Ist das ernst gemeint?", fragte ein Zuhörer, der sich bei den schiefen Gesangstönen nicht ganz sicher war.

Zugabe um Zugabe gab Dave Hole, der australische Gitarrist und Sänger mit einer unverhohlenen Liebe zum Blues, der das Leise bis zum letzten Moment auszureizen versteht, um im nächsten Moment mit aller Kraft des Rockers wieder loszubrechen.

Damen gaben den Ton an

Ein Ventilator, eine Kiste Kosmetiktücher und ein Duftwässerchen sind immer dabei: Die Dame hat auch auf der Bühne ihre Prinzipien. Und mit rauchiger Stimme betörte Marianne Faithfull (Foto rechts), einstige Partnerin von Mick Jagger, bei der "Woman's Night" ihr Publikum. Mit der gebürtigen Warschauerin Anna-Maria Jopek und der poetischen Rebekka Bakken war sie in guter Gesellschaft. Die Damen gaben also den Ton an und im Agamsaal zeigte Cécile Verny mit ihrem "European Songbook", wo die Zukunft des Jazz-Worldbeat-Pop einmal liegen könnte. (JAN)

 

 

(LE) vom 05.11.2005 - Seite R14

LE
KULTUR: Der Auftakt des Jazztage und die Übersicht zu "Ein Buch für die Stadt"

Die Legenden gaben mächtig Gas

Eine Wucht waren sie beide: der Barde José Feliciano und der Klangerfinder Joe Zawinul

Der Auftakt der Jazztage zeigte, wo es langgeht: Die Altstars drehten auf, räumten jedoch dem musikalischen Nachwuchs viel Spielraum ein.

VON JAN STING

Es lebe der Unterschied: Der eine ist Joe Zawinul, ein blitzwacher Erfinder, der von der ersten Sekunde an mit Synthetikstimmen vibriert, an Knöpfen und Verstärkern dreht, und alte Hasen wie experimentierfreudige Nachwuchsmusiker der WDR-Bigband zu immer neuen Klangbildern aufwühlt. Der andere ist José Feliciano. Ein gravitätischer Barde, der die klassische Gitarre anstimmt und mit der Zeit den aparten Zauber seiner Evergreens entfacht. Zawinul gibt Einblick in die Klangwerkstatt, lässt immer Neues aus dem Sack. Und Feliciano sitzt einfach da und bringt das Publikum mit seinen Ohrwürmern zum Toben. Eine Wucht waren sie beide.

Die "Legends in Concert" haben die 26. Leverkusener Jazztage gleich zur Eröffnung auf ein tempo-und facettenreiches Programm eingestimmt. Das neue Projekt, das der Österreicher Zawinul mit der WDR-Bigband auf die Beine gestellt hat, ist ungemein vielschichtig. Das Arrangement stammt von Vince Mendoza, dazu gehören Victor Bailey (Bass), Nathaniel Townsley (Drums) und Alex Acuna (Percussion). Man ist aufeinander eingespielt und gibt sich die Codes zu immer neuen Clustern. Martinshörner mag man da hören, tibetanische Mönchsmusik oder einfach die Stimme von Micky Mouse.

Sympathisch an Zawinul ist vor allem, dass er sich an keiner Stelle als der große Zampano gibt - die technischen Mittel hätte er. Nein - der Erfinder des Hip-Hop-Beats nimmt sich zurück, gibt den Bandmitgliedern ein Forum, und die wiederum geben ihr Bestes. Somit bricht das etablierte Ensemble mit Hörgewohnheiten. Im Publikum sind alle Altersklassen vertreten. Ganz vorne drängen sich junge Zuhörer, die allen genau auf die Finger schauen, als wollten sie jeden Ton im Gedächtnis behalten. Auf den Treppen sitzen welche, denen es völlig egal zu seien scheint, ob sie sich ihre schicken Klamotten schmutzig machen. Die Atmosphäre ist entspannt, gut gelaunt und in der Pause erhalten die Zuspruch, die die Aufmerksamkeit wirklich verdient haben: Die Blowshop-Bigband, der Jazznachwuchs der Leverkusener Musikschule, machte im Agamsaal feine Musik.

Nach der Pause hatte José Feliciano seinen Auftritt. Ein Auftritt, der zuerst schmunzeln ließ. Die Gitarre war nicht gestimmt, der hüstelnde Star wirkte etwas indisponiert und seine Combo ein bisschen gelangweilt. Doch Vorsicht: Wer musikalisch so unvermittelt Gas geben kann, der darf auch kleine Schwächemomente zeigen. Schon bald zeigte Feliciano, Pionier des Latin-Pop, mit seiner raumgreifenden Stimme, wo es langging. Der Sänger solcher Songs wie "Que Sera" oder "California dreamin" entlockte seinem Publikum Juchzer der Begeisterung, erst recht durch sein virtuoses Gitarrenspiel. Auch die Band zückte die Schweißtücher - die Auswahl, die Festivalmanager Eckhard Meszelinsky für den ersten Abend getroffen hatte, überzeugte.

Der Jubilar liegt im Krankenhaus

Den Oskar der Jazztage nahm Festivalmanager Eckhard Meszelinsky noch einmal mit nach Hause. Der zweite Leverkusener Jazz-Award sollte an Wolfgang Orth gehen. Doch der "topos"-Wirt und Jazzenthusiast musste aufgrund hohen Fiebers ins Krankenhaus. Meszelinsky hofft, die Ehrung zum Ausklang der Jazztage nachholen zu können. Der Preis wird alle fünf Jahre an Personen und Institutionen verliehen, die dem Festival in besonderer Weise verbunden sind. 2000 erhielt ihn der Fernsehredakteur Dieter Hens. (JAN)

 

27. Le­ver­ku­se­ner Jazztage 2006 / 3. bis 11. November

"Su­per-Opas" zogen sich warm an

Gegen nieseliges Novembergrau wappnete sich die Gruppe aus der Karibik

Ruhe vor dem Sturm: Am Freitagnachmittag traf man die letzten Vorbereitungen für die Jazztage. Derweil trafen sich die Musiker des Buena Vista Social Club zum Soundcheck.

VON JAN STING, Quelle: Leverkusener Anzeiger, 4.11.2006

Pelz - und Pudelmützen, dicke Daunenjacken, Schals mit Schottenmuster und eine Schlägerkappe in Eierschalenfarben - die Koryphäen des kubanischen Buena Vista Social Club hatten sich warm angezogen, als sie am Freitag in knackiger Kälte vom Best Western Hotel zum Soundcheck ins Forum aufbrachen. Für die "Super Abuelos", die Supergroßväter, wie man sie in ihrer kubanische Heimatstadt Havanna liebevoll nennt, war sogar ein Auto für den kurzen Weg bestellt worden.

Langsam ließen sie es auf der Bühne angehen, flöteten Tonleitern, klopften auf die Congas, stopften die Trompeten und ließen am Flügel Läufe perlen, die verdächtig an Franz Liszt erinnerten. Dann bat einer um den Kammerton A. Gitarrist Manuel Galbán gähnte noch ein bisschen während der Koch aus dem Forum-Restaurant schon ungeduldig wurde. Schon dreieinhalb Stunden hatte er auf den berühmten Besuch gewartet. Aber die Musik ging nun eben einmal vor.

Nach gut einer Dreiviertelstunde war die Technik dann soweit eingestellt, dass es losgehen konnte. Der Jacken und Mützen hatte man sich unter dem geballten Scheinwerferlicht schon entledigt, und von jetzt auf gleich entstand die prickelnde Atmosphäre der Zuckerrohrinsel, mit Son, Bolero, Guaracha und Mambo. Cachaíto Lopez zupfte ein paar Takte auf der Bassgeige, Manuel Guajiro Mirabal schmetterte mit der Trompete, kicherte, und schnell war klar, dass sich diese Gemeinschaft alter Herren in Bundfaltenhose wortlos mit dem Nachwuchsmusikerinnen und Musikern in Designerjeans und Lederjacke versteht, musikalisch kommuniziert. Und irgendwann werden sie dann auch zum Koch ins Restaurant gegangen sein, der so beharrlich mit dem Essen wartete.

Festivalmanager Eckhard Meszelinsky und sein Team nutzten am Freitag die Ruhe vor dem Sturm, richteten Scheinwerfer auf die Bühne des Terrassensaals, prüften die Technik und den Sound. Die Zapfanlagen waren bereits aufgebaut. Berge von Döschen mit dem Kaffeepulver lagen bereit, es konnte losgehen mit den 27. Leverkusener Jazztagen. In den Clubräumen surrten die Computer, der Ansturm der Mails dürfte bis zum Finale am Samstag, 11. November, nicht abreißen. Anfragen, aber auch Komplimente und Ermunterungen gehören dazu. Es war der Wunsch der Fans, die Herren vom Buena-Vista-Social-Club in Leverkusen begrüßen zu können - und dieser Wunsch brach auch nach dem Tod des legendären Sängers Ibrahim Ferrer nicht ab. Das Festival ist nun einmal auch das große Treffen der Jazzliebhaber. Viel wird diskutiert, verglichen und hingehorcht. Einer, der hinschaut, ist der Kölner Maler Marek Mann, der begleitend zu den Jazztagen wieder seine Künstlerporträts - im oberen Foyer - ausstellt. Der Flamencozauberer Paco de Lucia, der am Donnerstag, 9. November auftritt, ist dort mit seiner Gitarre zu sehen. Al Di Meola (Konzert am Mittwoch, 8. November) wirkt im grünlichen Scheinwerferlicht so nah, als spielte er im eigenen Wohnzimmer.

Auch die Stars vergangener Jazztage werden noch einmal gezeigt, so knödelt Joe Zawinul, Erfinder des Hip-Hop-Beats, gerade ein Mikro ans Ohr, und Dee Dee Bridgewater verbreitet auf der Leinwand die pure Ekstase.

 

 

(LE) vom 11.11.2005 - Seite R10

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LE­VER­KU­SE­NER JAZZTAGE: Trom­mel-Trut­z­burg und pure Le­bens­lust - alles im Forum

Auf den Spuren der Hopi-In­dia­ner

Außergewöhnlich vielfältige Wege eines Klarinettisten und Komponisten in der Weltmusik

Heute Abend dreht sich im Forum die "Drum World". Vorab haben wir in die Werkstatt von Michael Riessler geschaut.

VON JAN STING

Mein lieber Scholli - was für ein Schlagzeug! Das Gestänge für Gongs und Becken aller Größen ragt bis über den Kopf. Unzählige Trommeln machen aus dem Gerät eine Art Trutzburg. Die Maße gleichen denen eines Kleinbusses, und sucht man nach einem Vergleich für das Instrument des Drummers Terry Bozzio, dann steht man erst einmal im Regen. Es könnte ein Riesenreptil sein, aber auch ein Raumschiff. Ein Höllenteil, quasi die Moto Guzzi des Percussionisten, Inspirationsquelle für die Autodesigner der ganzen Welt. Soviel Dynamik strahlt es aus - ein Kawumm.

Und der Klang? Es scheint zu singen. Auch Bozzios Musikerfreund Michael Riessler staunt über die melodiösen Möglichkeiten. Es ist seine Komposition, die er heute Abend mit Terry Bozzio und dem französischen Drehorgelspieler Pierre Charial ab 19 Uhr bei der "Drum World" aufführt. Schon ganz lange sei ihm die Idee des gemeinsamen Projekts durch den Kopf gegangen, sagt Riessler. "Seit 17 Jahren wollen wir etwas Gemeinsames machen", erklärt der Klarinettist und Komponist, dessen Wege in der Weltmusik außergewöhnlich vielfältig sind. Es gab Begegnungen mit Maurizio Kagel, John Cage, dem Arditti Quartett oder dem Meister der arabischen Kurzhalslaute (Oud), Rabih Abou Khalil.

Im Projekt "Apónivi", einer Auseinandersetzung mit den rituellen Maskentänzen der Kachinas, dann schließlich fand er mit Bozzio und Charial zusammen. "Apónivi" bezeichnet in der Sprache der Hopi-Indianer den Wind, der die Schlucht hinab bläst. Er soll die Geister der unsichtbaren Lebenskräfte mit sich führen. Die wiederum werden erst im Tanz und mit den Masken sichtbar. Soviel zur Mystik, die allerdings nicht überstrapaziert werden sollte. "Kachinas?", grinst Bozzio, fasst sich an den wuscheligen Hinterkopf und macht dabei eine Bewegung, als wolle er sämtliche Federn und Zöpfe der Masken andeuten.

Auf den Workshop angesprochen, den er am Samstag, 12. November, 11 Uhr im Forum gibt, schaut er etwas verdutzt. Schlagzeugunterricht für Jedermann? Nun, er wird den Teilnehmern schon eine Menge zeigen können, zählt er doch zu den führenden Schlagzeugern der Gegenwart. Schon seit Anfang der Woche laufen die Proben für das "Apónivi"-Projekt und ein Blick in die Werkstatt zeigt, wie präzise man jede Note der Partitur studiert. Riessler und Bozzio müssen sich ganz auf den dritten Solisten im Bunde einstellen, den Drehorgelspieler Pierre Charial, der in der Neuen Musik viel mit György Ligeti zusammenarbeitet. Sein Part in "Apónivi" ist quasi unumstößlich.

Mit der Hand hat Riessler die Partituren geschrieben, ein Computer gab die Codes für die Stanzkarten der Orgel, und diese stecken in einer Art Sporttasche für den Transport. Immer neue Lochkarten, die wie kleine Leporello-Alben gefaltet sind, steckt Charial in seine Drehorgel. Im rasanten Tempo entfachen sich ein imposanter Strudel und ein Gehämmer aus den Pfeiffen des nostalgisch anmutenden Instruments, das allerdings nach neuestem Stand der Technik gebaut ist. "Die Orgel ist der Bass", sagt Riessler, Bozzio spiele die Melodien. Er selbst bläst die Bassklarinette.

Windflattern, Pfeifen, Klappern, Rattern und Schlagen sind nur einige wenige Assoziationen die sich einstellen. Die Musik wirkt mitreißend, wie ein Trip, der gleichsam in die Welt von Maschinen führt, aber auch die Eindrücke archaischer Naturgewalten zu vermitteln vermag. Bozzio, der in sein Instrument eingestiegen ist, wie in eine Raumkapsel, wirkt hochkonzentriert. Manches knallt wie ein Schuss, Trommelwirbel wechseln mit weichen Beckenschlägen. Es ist als docke er mit der Kapsel mal an, um sich dann wieder in den sphärischen Orbit abzusetzen. Es ist ein immer energiegeladenes Zusammenspiel.

Sympathisch: Koryphäengehabe scheint den Musikern ein Graus absoluter zu sein. Riessler räumt ein, dass es ja "illustre Namen" seien, die auf dem Programm stünden. Aber: "Wichtiger ist doch, was auf einem Festival passiert." Sein Projekt dürfte heute Abend zeigen, dass Neues in der Musik die Hörgewohnheiten revolutionieren kann - mittels Drehorgel und einem singenden Raumschiff. Bozzio "parkt" es übrigens in der Garage. Und er hat mehrere solcher Instrumente. Extra für das gute alte Europa, und für die USA.

 

Jazztage: Konzerte im Sen­sen­ham­mer, im Forum und im "topos"

Feuriger Ernst unter Palmen

Im Strudel kontrollierter Gefühle und entfesselter Arrangements

Paco de Lucía zog beim Flamenco die Fäden. Es war wie der Aufbau eines Gefühls-Gewitters.

VON JAN STING, Quelle: Leverkusener Anzeiger, 11.11.2006

Was für ein Pokerface. Der Mann macht Musik, ohne eine Mine zu verziehen. Fast schon grimmig, so ernst sitzt er da vor einer Reihe Palmen, welche die Organisatoren der Leverkusener Jazztage wahrscheinlich aus sämtlichen Gartenbauabteilungen gezupft haben. Ja, und dort spielt er wie für sich selbst auf seiner Gitarre. Eine Weile könnte man denken, dass sich Paco de Lucía ein bisschen ärgert, nach fünfjährigen Verhandlungen nun doch nach Leverkusen gekommen zu sein. "Paco" brüllt ein Fan aus dem übervollen Terrassensaal ihm begeistert entgegen. Ein beleidigt klingendes "Ey" raunzt de Lucía zurück. Und es herrscht Ruhe. Er beginnt zu spielen. Nichts Bombastisches, eher bescheiden. Und in dem Moment, als seine Mitmusiker auf die Bühne kommen, und die Vocals-Palmas Chonchi Heredia und Montse Cortes ihre Klagelieder anstimmen, denkt man sich "auwei". Wer die Dramatik des Flamenco noch nicht erfahren hat, hatte in Paco de Lucía aber einen geschickten Lehrmeister. Eine Stunde später ist das Bild nämlich ein ganz anderes. Die Musik hat so an Fahrt gewonnen, dass man in einen regelrechten Strudel gerät. Archaisch bleibt es den ganzen Abend, aber mit seinen gezwirbelten, wunderschönen Läufen auf der Gitarre zieht de Luía wie an unsichtbaren Fäden. Beim Zusammenspiel baut sich Energie auf, als wolle sie sich in einem Gefühls-Gewitter entladen. Weiterhin wirkt der große Gitarrist kontrolliert, aber die Arrangements sind dafür geradezu entfesselnd. In Nino Josele, dem im Gegensatz ein Dauerlächeln ins Gesicht geschrieben steht, hat de Lucía einen brillanten Partner auf der Gitarre gefunden. Zusammen mit Antonio Serrano an der Mundharmonika, Alain Perez (Bass) und El Pirana entfachen sie die pure folkloristische Lebensfreude. Paco de Lucía weiß, wie man Pfeffer unter ein Publikum bringt, dosiert anfangs sehr sparsam, um anschließend süchtig zu machen. Der Vorgruppe mit dem Gitarristen Rafael Cortés war es bereits gelungen, das Eis zu brechen. Jazzelemente, Zigeunermusik, Flamencotanz und solistische Flötentöne gab es im Ensemblespiel. Aber den packenderen Part spielte an dem Abend eindeutig Paco de Lucía. Nach einer feurigen Zugabe sah es so aus, dass es ihm doch in Leverkusen gefallen hat. Und die Fans wollten ihn denn auch eigentlich gar nicht mehr gehen lassen.

 

27. Le­ver­ku­se­ner Jazztage / 27. Jazztage: im Forum und im No­ten­schlüs­sel

Ist der Lack ab, bebt der Klang

Weltmusik auf der Gitarre von Australien über Afrika nach Amerika

Gestatten Gitarre: Bei den Jazztagen geben sich die Gipfelstürmer die Ehre.

VON JAN STING, Quelle: Leverkusener Anzeiger, 8.11.2005

Drei ramponierte "Klampfen" stehen auf der Bühne - die Instrumente für ein Solokonzert. Kann das klappen? Klar. Denn der, der schon allein durch das rhythmische Zerkratzen des Lacks das Publikum aufmischt, ist ein Meister der Percussion, ein Zauberer auf der Gitarre, ein Kompass für Gefühlsnuancen. Es ist Tommy Emmanuel. Mit aller Wucht musikalischer Inspiration entführt er nach Afrika oder zu den australischen Ureinwohnern, singt Cowboylieder, entwickelt aus einfachen Melodien eine packende Session. Ein grandioser Auftakt zu drei Gitarrenabenden der Jazztage.

Die Zeremonie der Aborigines brodelt bis zur Erderschütterung hoch, entführt in Sphären aus Herzrhythmen und archaischen Gesängen. Es war ein frühes, prägendes Erlebnis in seinem Heimatland Australien, das Emmanuel mit ungeheurer Intensität und Dichte herüberbringt. Doch der Weltmusiker kann auch anders. Cowboys, so sagt er, träumen liebend gerne vom Bier. Er aber träume lieber vom Strand und von schönen Frauen.

Letzteren widmete er also seinen Cowboysong. Und schnell trat er den Beweis an, dass seine Lieder nicht von Bierlaune, sondern echter Leidenschaft geprägt sind. Perplexe Reaktionen aus dem Publikum zeigten, dass sich hier viele Kenner eingefunden hatten. Und tatsächlich mochte man die klassische Gitarre stellenweise nicht wieder erkennen. Emmanuel ist so virtuos, dass er mit seinem Instrument mühelos auch als Fiddler durchgeht. Oder als Schlagzeuger.

Doch nur das Virtuosentum zu präsentieren - von solchen Schaustückchen ist der Organisator der Leverkusener Jazztage, Eckhard Meszelinsky, weit entfernt. Man muss es bewundernd anerkennen, mit welcher Liebe zur Musik er sich für Ungewöhnliches, Einzigartiges stark macht. Eine Bereicherung war auch der Besuch von Badi Assad. Die brasilianische Gitarristin und Sängerin kam barfuß auf die Bühne, mit ebenmäßigen Gesichtspartien, die an die Selbstporträts der Frieda Kahlo erinnern. Geerdet und doch geheimnisvoll gibt sie mal Vogellaute von sich, flüstert, schreit und erzählt. Gleichzeitig zur Mundperkussion brilliert sie auf dem Griffbrett ihrer Gitarre - ein Erlebnis. Zum Abschluss und zur Entspannung spielten die Altmeister der Gruppe Oregon. Ein Jazz, der fast schon schwerelos durch den Terrassensaal glitt. Großartig.

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